Hugenottenstadt Erlangen: die barocke Planstadt

Neustadt, Planstadt oder Hugenottenstadt? Tatsächlich sind alle drei Begriffe am gleichen Standort vereint. Die auch als Hugenottenstadt bezeichnete Neustadt wurde 1686 südlich der Altstadt Erlangen gegründet. Bis heute ist sie eine der am besten erhaltenen barocken Planstädte in Deutschland.

Der Aufbau dieses Viertels begann mit der Grundsteinlegung für die Hugenottenkirche. Dieser „temple“, wie ihn die Hugenotten bezeichneten, war die erste städtische Kirche, in der es kein Kreuz, keine Kerzen und keinen Altar gab. Heute prägt die Kirche den „Hugo“, den Hugenottenplatz.

Hugenottenkirche

Nicht zuletzt war Ludwig XIV Auslöser für den Umbruch in Erlangen, das Ende des 17. Jahrhunderts kaum größer war als ein Dorf. Der Sonnenkönig hob 1685 das Edikt von Nantes auf, was dazu führte, dass die calvinistischen Hugenotten (französischen Protestanten) ihre staatsbürgerliche Gleichberechtigung, Glaubens-, Kult- und Gewissensfreiheit und einige Sonderrechte verloren. Die Folge: Eine Fluchtwelle. Von den 400.000 vertriebenen Franzosen, die eine neue Heimat suchten, siedelten etwa 40.000 in das Heilige Römische Reich über. 3.000 von ihnen führte diese Suche nach Franken. Die ersten sechs kamen aus Vitry-le-François in der Champagne nach Erlangen. Ihnen folgten danach mehrere Gruppen.

„Offen aus Tradition“ – die Hugenotten kommen nach Erlangen

Markgraf Christian Ernst

Sie kamen in einen Landstrich, der durch den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) schwer von großer Armut und furchtbarem Leid gebeutelt war. Christian Ernst Markgraf von Brandenburg-Bayreuth sah in der Aufnahme der Hugenotten die große Chance, eine aktive Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik aufzubauen. Er sorgte dafür, dass die Hugenotten einige Privilegien genießen konnten. Das ging teilweise so weit, dass er sie besserstellte als die eigenen Landeskinder. Dazu Historiker Prof. Dr. Helmut Neuhaus: „Das geschah keineswegs nur aus protestantisch-konfessioneller Solidarität und Hilfsbereitschaft, sondern wurde in Ausübung herrscherlicher Macht utilitaristisch genutzt.“ Das vorausschauende Ansinnen des Markgrafen war es, das Gemeinwohl in seiner Region zu verbessern. Zielsetzung war es, viel ins Ausland zu exportieren und wenig zu importieren.

Markgraf Christian Ernst versprach sich viel von der wirtschaftlichen Leistung der Hugenotten, schließlich hatten sie zahlreiche neuartigen Gewerbe und moderne Betriebsformen zu bieten. Auch zählte er zu Europas barocken Fürsten, die sich mit einer - nach idealen Gesichtspunkten angelegten Planstadt – ihren großen Traum verwirklichten. Er ließ die französische Kolonie als Gewerbestadt anlegen, positionierte sie direkt an die Handelsstraße nach Nürnberg und geschickter Weise in die Nähe zweier gewerblich nutzbarer Flüsse. Dem Kapitalmangel und der geringen Finanzkraft der Einwanderer wirkte er mit vergünstigten Krediten und Sachhilfen entgegen. Im Herzen der Neustadt entstand auch das Markgrafenschloss mit dem angeschlossenen Schlossgarten und der Orangerie.

Die Neustadt als barocke Planstadt

Homann-Stadtplan mit sieben Randbildern von 1721

Die symmetrische Anlage der Straßen sollte ebenso die Ordnung im Staatswesen widerspiegeln. Oberbaumeister Johann Moritz Richter, fertigte dafür – wenn auch unter Mitwirkung und dem Einfluss Dritter – den Grundriss an. Er gehört zu den anspruchsvollsten Planstadtentwürfen des 17. Jahrhunderts. Die Stelle im nordwestlichen Randbereich der „Idealstadtanlage“, das „Richtersche Eck“, trägt seinen Namen. Hier bilden die den inneren Kernbereich umschließende Ringstraße und die begleitende äußere Bebauung einen rechten Winkel. Die „Richthäuser“ hatten die Funktion, die äußeren Hausgrundstücke ringsum zusammenzuschließen. Dadurch erhielt der als offenes Rastersystem gestaltete Innenbereich der Stadtanlage seine Stabilität. Für die Achsen von Osten und Süden bildet das „Richtersche Eck“ einen Blickpunkt auf den die Häuser hinleiten.

Richtersches Eck: Goethestraße. Nordwesteck der Ringstraße des Richter'schen Planes

Die zwei- bis dreigeschossigen Richthäuser waren zumeist in einer Breite von sechs Fensterachsen und in der Länge von sechs bis zwölf Fensterachsen angelegt. Sie traten etwa einen halben Meter von ihrem Baublock hervor und zeichneten sich durch eine etwas größere Höhe im 1. Oberschoss als die der Reihenhäuser aus. In ihrem Ursprung wiesen sie ein zweifenstriges flaches Mittelrisalit, die Betonung der Ecken durch Lisenen und sogenannte Zwerchhäuser im Dachgeschoss auf. Bis heute erhalten geblieben sind vier Richthäuser in der Hauptstraße. Eine am „Richterschen Eck“ im Gehsteig eingelassene Granitplatte zeigt den Stadtplan des markgräflichen Oberbaumeisters.

Neue Techniken und Gewerbe

Werkstatt eines Strumpfwirkers (Stadtmuseum Erlangen)

Als erstes Gewerbe kam das der Strumpfwirker in Schwung. Ein technisch hochstehender Wirtschaftszweig, der bis dato in Deutschland noch nahezu unbekannt war. Sie stellten Maschenwaren zur Bekleidung aus verschiedenen Wollen und Garnen her. Es ist wahrscheinlich, dass ihr Einsatz von „Strumpfwirkerstühlen“ so etwas wie Strickmaschinen darstellten, denn die war bereits 1589 von einem englischen protestantischen Geistlichen erfunden worden. Neben diesem Gewerbe entwickelte sich die Hutfabrikation als zweitwichtigstes hugenottisches Gewerbe der Neustadt. Ab 1686 kamen Handschuhmacher dazu und Weißgerber, die edle Lederqualitäten für Handschuhe, Buchdeckel und Etuis herstellten.

Neben diesen vier Gewerben etablierte sich im Textilbereich eine Seidenmanufaktur, der es jedoch nicht gelang über ihre Anfänge hinauszukommen. Ein weiterer ungewöhnlicher Beruf, der hier betrieben wurde, war der des Posamentierers. Er fertigte Kordeln, Borten, Fransen und Quasten. Leider besetzte auch dieser Textilzweig keine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben der Stadt. Etwas anders verhielt es sich dagegen mit der Gobelinmanufaktur Chazaux, die über zwei Generationen hinweg beeindruckende Wandteppiche entwickelte und sich damit einen Namen von überregionaler Bedeutung verschaffte. Eines ihrer interessantesten Zeugnisse befindet sich seit 2019 im Besitz des Stadtmuseums. Das gute Stück ist ein echter „Verdure“, ein in Grüntönen gehaltener Landschaftsteppich, den geschickte Kunsthandwerker 1730 anfertigten.

Altstadt & Neustadt – Erlangen wächst zusammen

Blick auf die barocke Planstadt Erlangen mit Schloss- und Marktplatz

Bis 1708 war die Gründungs- und Aufbauphase der Neustadt abgeschlossen. Bis Ende 1687 lebten in der neuen Stadt neben marktgräflichen Beamten und Soldaten 600 bis 800 Réfugiés. 1698 waren von den 1.317 Siedlern der Neustadt dreiviertel französischer Herkunft. 1723 waren von 3.182 Einwohnern 2.154 Deutsche, was belegt, dass der hugenottische Charakter der Kolonie schwand. Der wirtschaftliche Aufschwung hielt bis Ende des 18. Jahrhunderts an, wobei die Zahl der deutschen Zuwanderer zunehmend Gewicht erhielt.

Die eigenständige Geschichte der Neustadt endete 1812 durch die Vereinigung mit der Altstadt Erlangen. Heute wird sie gerne als Hugenottenstadt bezeichnet oder zur historischen Innenstadt gerechnet.

Die kreisfreie Universitätsstadt in Mittelfranken zählt 117.466 Einwohner (Sept.2022). Hier leben Menschen aus 140 Ländern. Erlangen pflegt langjährige Freundschaften mit zehn Partnerstädten und weiteren Kooperationspartner in aller Welt. Weiterhin gilt in der Stadt das Motto: „Offen aus Tradition“!

Die Informationen basieren auf den fundierten Beiträgen von Dr. Andreas Jakob, Prof. Dr. Hermann Neuhaus und Thomas Engelhardt - Erlanger Stadtlexikon.

Stadtführungen rund um die Hugenottenstadt Erlangen

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